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  • AutorenbildJan Hesselbarth

Und nun? Wie geht es weiter mit der Ukraine und der Welt?

Aktualisiert: 9. Aug. 2023

Das Haus der europäischen Sicherheitsarchitektur brennt seit beinahe sechs Wochen. Was passiert ist, kann jeder in der Presse nachvollziehen. Was wir als freiheitlich-demokratischer Westen bisher gemacht haben, ist auch bekannt. Wir haben die "Feuerwehr" zwar in die Nähe des Brandes geschickt, aber sie darf nicht richtig löschen. Sie darf den Bewohnern des Hauses ein paar Eimer Wasser hinstellen, und dann bekommen die das schon alleine hin. Die Bewohner sollen wohl schon alleine löschen. Nicht dass unser eigenes Haus noch in Brand gerät. Sagen zumindest die Bedenkenträger. Zwar haben wir den Feuerteufel erstmal von den Vorzügen unserer Welt abgeschnitten, aber die Frage bleibt, wie es nun weiter geht. Denn Vladimir Putin als Brandstifter wird, wenn er diesen Krieg politisch im eigenen Land überlebt, nicht halt machen, sondern seine größere Agenda weiter verfolgen.



Das Bild mag nicht 100% stimmig sein. Aber es fühlt es sich so an. Der Krieg stagniert. Es sind auf russischer Seite zur Zeit keine wesentlichen Geländegewinne mehr zu verzeichnen. Im Gegenteil: Gegenoffensiven der Ukrainischen Streitkräfte zeugen von einer unverändert hohen Kampfbereitschaft des Landes. Militärisch sind weder die Ukraine noch Russland derzeit in der Lage, einen entscheidenen Sieg zu erringen - alles ist offen. Außer dem Einsatz von Nuklearwaffen liegen meiner Meinung nach noch alle Optionen auf dem Tisch. Der angekündigte Rückzug Russlands aus dem Raum Kiew erscheint vor den Hintergrund all der bisherigen Taten Russlands doch eher als eine Nebelkerze, diente er doch eher einer Umgruppierung der Kräfte im Osten der Ukraine.


Der Westen hält weiterhin die wirtschaftlichen Sanktionen aufrecht, und es kommen immer noch weitere dazu. Sogar die russische Ankündigung, Gas nur noch gegen Rubel zu liefern, hat der Westen einmütig abgeschmettert. Aber verfangen die wirtschaftlichen Sanktionen auch? Die russische Wirtschaft erscheint "kriegstauglich" und durchaus robust. Mit China steht ein wichtiger Partner fest an der Seite Moskaus. Weitere Regionalmächte wie Indien oder Brasilien beteiligen sich ebenfalls nicht an den Sanktionen. Solange China als Weltmacht mit Symbolcharakter nicht in die Sanktionen einsteigt, werden die Sanktionen des Westens zwar einen gewissen Schaden anrichten, aber keinen unmittelbaren Einfluss auf das Kriegsgeschehen haben. China ist also von zentraler Bedeutung. Und China wird nur in eigenem, wirtschaftlichen Interesse tätig werden, um mögliche Schäden zu minimieren. Wirtschaftlich getrieben, und dabei sowohl der eigenen globalen Strategie als auch dem inneren Machtanspruch verpflichtet, wird China nur das tun, was dem Land nützlich ist.


Und was kommt jetzt noch? Wir verdammen Putin für seine Taten öffentlich - fair enough. Wer das nicht tut, scheint schlicht verblendet zu sein. Wir versuchen einen friedlichen Weg, in einen Dialog zu finden. Die Ukraine verhandelt mit Russland über Sicherheitsgarantien. Etliche westliche Länder scheinen bereit, diese zu geben. Man fragt sich aber, wie es gehen soll, wenn niemand diese Garantien militärisch gegen Russland durchsetzen will. Ganz nüchtern betrachtet: Das ist alles voraussehbar gewesen. Die NATO handelt genau nach Lehrbuch und so, wie Russland es vermutlich vorher antizipierte: Wirtschaftliche Sanktionen zum Beispiel der Europäischen Union (auf die man vorbereitet war und ist) und Diplomatie (für die man bereits in der Vergangenheit Wege fand...). Im Budapester Memorandum von 1994 wurden bereits Sicherheitsgarantien unter anderem für die Ukraine festgelegt. Daran gehalten hat sich KEINE der unterzeichnenden Parteien. Russland hat mit seinem Einmarsch den Vertrag gebrochen. Die USA und Großbritannien haben als Garantiemächte die Souveränität der Ukraine fallen gelassen.

Also wie gehen wir als westliche Welt nun damit um? Folgt man der Lehre von Professor Varwick von der Universität Halle, müsste ein Ausgleich zwischen den Konfliktparteien gefunden werden. Vieles spricht dagegen - einiges aber auch dafür. Besonders schwerwiegend scheint dabei das Wissen um die Vorgehensweise Russlands (ganz unabhängig von Putin) mit seinen Nachbarn in der Geschichte. Solange die westliche Wertegemeinschaft nicht aus einer Position der Stärke heraus mit Russland verhandelt und agiert, wird Russland immer wieder die Grenzen des Machbaren ausloten. In einem vorhergehenden Artikel nannten wir ein Eingreifen der NATO den "Normandie-Moment". Damit war ganz konkret das lokal begrenzte, aber beherzte militärische Eingreifen westlicher Staaten gemeint. Auch das muss eine Option sein, die auf den Tisch kommt, ohne vorab verworfen zu werden. Denn eines steht fest: Wir als westliche Wertegemeinschaft dürfen uns nicht den wilden Bestrebungen eines Autokraten beugen - noch nicht einmal diplomatisch. Ein erster Schritt ist mit den Waffenlieferungen an die Ukraine gemacht. Die Entscheidung der NATO-Außenminister am 07.04.2022, auch schwere Waffen zu liefern, ist ein weiterer qualitativer Sprung in die richtige Richtung.


Denn wenn man die Sache vom Ende her denken wollte - wie z.B. Ex-General Vad dies vorschlägt - so endet man eventuell nicht da, wo wir uns als westliche Wertegemeinschaft gerne sehen würden. In Freiheit und Frieden lebend. Eines muss uns klar sein: Russland wird seine Interessen mit oder ohne Putin vertreten - und im Moment passiert das militärisch auf dem Boden eines friedlichen, demokratischen Landes. Daran wird auch ein potenzieller Sturz Putins nichts ändern.


Was wird nun aus unserer Sicht benötigt?

  • Ein klarer militärischer Plan muss her, das Baltikum vor einem russischen Zugriff zu schützen. Durch den Angriff Russlands ist die NATO-Russland-Grundakte von 1997 hinfällig. Eine Truppenstationierung in Brigadestärke, also mit rund 5.000 Soldat:innen sollte durchgeführt werden - und zwar angepasst an die militärischen Notwendigkeiten. Litauen ist zu großen Teilen panzerungünstiges Gelände, könnte also vornehmlich durch mehrheitlich infanteristische Kräfte verstärkt werden. Eventuell ist sogar eine Stationierung einer multinationalen Jägerbrigade denkbar.

  • Eine klare und abgestimmte internationale Planung, wie man die Ukraine sichern kann, muss erörtert und implementiert werden. Dabei darf es keine Tabus geben, denn auch ein lokal begrenztes, militärisches Eingreifen muss diskutiert werden. Voraussetzung dafür ist, dass die NATO-Staaten gemeinsam agieren, und das die UN ein Mandat erteilt - und dass Russland genügend Zeit gegeben wird, die Ukraine zu verlassen.

  • Die Rolle Chinas muss mit allen Konsequenzen neu betrachtet werden. Der Drache und der Bär dürfen, bei aller Freiheit und Globalisierung, nicht zu einem Dream-Team der Autokratie und des Antiliberalismus werden. China muss klar gemacht werden, dass Russland als Staat im Grunde denselben Paria-Status bekommen könnte wie Nordkorea. Eine Anlehnung an Russland muss also auch für China Nachteile haben.

  • Realitäten müssen als solche benannt werden: Russland ist mit der derzeitigen Administration ein Unrechtsregime. Damit ist Russland international als Staat von Entscheidungen in den internationalen Gremien vorerst auszuschließen. Vor allem der Sitz im UN-Sicherheitsrat sollte Geschichte sein. Russland muss klar gemacht werden, dass nur eine Abkehr von Aggression und Krieg wieder zu einer Normalisierung des Verhältnisses zur Staatengemeinschaft führt.

  • Bei aller Härte muss für den Fall eines Einlenkens Russlands auch vom Westen her ein kurzfristiges und klares Entgegenkommen vorbereitet sein. Rote und grüne Linien sind klar zu definieren, sodass weder westliche Akteure noch Partner und Verbündete, noch Kontrahenten von Entwicklungen überrascht werden. Berechenbarkeit und Verlässlichkeit sind in der internationalen Politik hohe Güter.

  • Die Staaten und Bündnisse des Westens müssen Handlungsfähigkeit beweisen und sowohl verlässliche Partner als auch ernst zu nehmende Kontrahenten werden.

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