Jan Hesselbarth
100 Mrd. Euro, der Bundestag und Resilienz
Aktualisiert: 9. Aug.
Die Bundesregierung der Ampel-Parteien und die größte Oppositionsfraktion (CDU/CSU) haben sich in den Abendstunden des 29.05.2022 auf den Modus der Verwendung des Sondervermögens Bundeswehr geeinigt. Dabei wurde festgelegt, wie die Ankündigungen der Zeitenwende in der Regierungserklärung tatsächlich in die Wirklichkeit überführt werden sollen. Nun gilt es, dieses Budget “mit Leben zu füllen”. Wir schlagen hierbei einen neuen Betrachtungsweg vor, der sich auf die Resilienz konzentriert. Die Abstimmung mit der Opposition war nötig, da das Sondervermögen nicht Teil des Bundeshaushalts und des Einzelplan 14 werden soll, sondern ergänzend im Grundgesetz verankert werden wird.

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Da das Sondervermögen im Kern neue Schulden sind, soll die Tilgung zwar aus dem Bundeshaushalt erfolgen. Die Existenz des Sondervermögens neben dem normalen Budget bringt allerdings auch Vorteile mit sich. Überschüsse aus dem Einzelplan 14, die nicht im Budget des Ministeriums für Verteidigung für laufende Kosten oder Investitionen umgesetzt werden können, müssen in den Bundeshaushalt rückgebucht werden. Dieser Modus entfiele für ein Sondervermögen Bundeswehr. Gleichzeitig sind in den Formulierungshilfen zur Änderung des Grundgesetzes Art. 87 (A) und für das “Gesetz zur Finanzierung der Bundeswehr und Errichtung eines “Sondervermögens Bundeswehr”” Verquickungen mit dem Einzelplan 14 offenkundig.
Einzelplan 14
In den Einzelplänen (kurz: EPl.) sind die Haushaltsmittel (Einnahmen, Ausgaben, Verpflichtungsermächtigungen, Planstellen und Stellen) des Haushaltsplans veranschlagt. Dabei gilt grundsätzlich das Ministerialprinzip: Jedem Ressort ist ein Einzelplan zugewiesen. Für bestimmte Aufgabenbereiche wird das Realprinzip angewandt; so bildet etwa die Bundesschuld einen eigenen Einzelplan. Der Haushalt des Bundesministeriums der Verteidigung sowie der Bundeswehr als nachgeordnetem Bereich ergeben sich aus dem Einzelplan 14 des jeweiligen Bundeshaushaltsgesetzes. Gemäß Art. 87a Abs. 1 Grundgesetz müssen sich auch die „zahlenmäßige Stärke [der Streitkräfte] und die Grundzüge ihrer Organisation […] aus dem Haushaltsplan ergeben“. Beschaffungsaufträge des Verteidigungsministeriums mit einem Wert über 25 Mio. Euro müssen, zusätzlich zur Veranschlagung und Bewilligung im Haushalt und zur Beratung im Verteidigungsausschuss des Bundestages, vor dem Vertragsabschluss gesondert durch den Haushaltsausschuss freigegeben werden. Diese sogenannte „25-Millionen-Euro-Vorlage“, ehemals „50-Millionen-DM-Vorlage“, führte der Haushaltsausschuss 1981 per Grundsatzbeschluss ein.
Die Rede des Bundeskanzlers war ursprünglich im In- und Ausland so verstanden worden, das die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland durch regelhafte Erreichung des 2%-Ziels der NATO-Mitgliedstaaten und Errichtung eines Sondervermögens zur schnellen Bereinigung der Ausrüstungs- und Fähigkeitslücken in der Bundeswehr bewältigt werden sollte. Dies ist nach den politischen Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition nicht mehr der Fall. Im aktuellen Entwurf ist vielmehr vorgesehen, dass das Sondervermögen auch zur Aufstockung des Bundeswehr-Budgets hin zum 2%-Ziel genutzt wird. Erst nach Aufbrauchen des Sondervermögens (voraussichtlich nach vier Jahren) soll das 2%-Ziel gänzlich aus dem Bundeshaushalt finanziert werden.
Das bedeutet, dass die “Aufrüstung” der Bundeswehr nicht zu Lasten des aktuellen Bundeshaushaltes erfolgen wird - “abgesehen” von der Belastung der Tilgung, was den Spielraum für zukünftige Regierungen mindern wird. Dies war ein erklärtes Ziel der SPD. Andererseits konnte die CDU/CSU ihre Kernforderung der ausschließlichen Verfügbarkeit des Sondervermögens für die Bundeswehr ebenfalls durchsetzen, sodass bereits existente oder zu schaffende Maßnahmen für Bundes-Cybersicherheit, Zivilschutz sowie zur Ertüchtigung und Stabilisierung von Partnern über den Bundeshaushalt finanziert werden müssen.
Der Krieg in der Ukraine führt zu einem Umdenken, wenn auch nicht in der ursprünglich erhofften Intensität. Dieses Umdenken ist dringend nötig. Und wenn wir wirklich ehrlich sind, dann wussten wir all die Dinge, die jetzt wieder aktuell werden, auch schon vor dem Krieg. Der Krieg in der Ukraine hat lediglich die Lage akut verschärft und, gleich einem Weckruf, den Handlungsbedarf schmerzlich offengelegt.
Aus unserer Sicht müssen sich die westlichen Gesellschaften dringend Gedanken über umfassende Resilienz mit diversen Aspekten machen. Das gilt dabei insbesondere für die deutsche Gesellschaft. Viel zu lange haben wir in der Lethargie der Friedensdividende gelebt und ihre Erträge genossen. Nun ist es an der Zeit, diese Lethargie zu verlassen und den Handlungsdruck, der durch all die Jahre des Unterlassens entstanden ist, als Impuls anzunehmen.
Resilienz
Aus Sicht der NATO muss Resilienz nicht nur in einem militärischen Kontext betrachtet werden. Das Civil-Military Cooperation Centre for Excellence definiert Resilienz wie folgt: „Resilienz wird definiert als die Fähigkeit einer Gesellschaft, einem größeren Schock (z.B. einer Naturkatastrophe oder einem bewaffneten Angriff) zu widerstehen und sich leicht und schnell davon zu erholen. Resilienz ist eine Kombination aus ziviler Verteidigung und militärischer Kapazität.“ (Civil-Military Cooperation Centre for Excellence, 2019, Abs. 1). Diese Grundlage findet sich auch in den Ausführungen des Weißbuches der Bundesregierung aus dem Jahr 2016 wieder und wird in allen Maßnahmen immer wieder als ein ziviler und militärischer Ansatz aufgeführt (Die Bundesregierung, 2016).
Aus unserer Wahrnehmung bildet dabei die Bundeswehr lediglich EINEN Aspekt unter vielen im Rahmen einer vernünftigen Sicherheitspolitik. Vielmehr sehen wir Resilienz als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die innerhalb der Sicherheits- und Verteidigungsstrukturen ganz maßgeblich aufgebaut werden muss. Darüber hinaus ist Resilienz als eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung zu verstehen. Darunter fallen vor allem auch zivile Infrastrukturen, gesellschaftliche Faktoren und unsere Verwaltung.
Nimmt man die 7 baseline requirements der NATO als ein mögliches Handlungsraster, so fällt schnell auf, dass es hierbei nur am Rande um Panzer sondern viel mehr um gesamtgesellschaftliche Herausforderungen geht. Nichtsdestotrotz benötigt die Bundeswehr schnellstmöglich die Panzer, Fahrzeuge, Flugzeuge und Schiffe, um in Vollausrüstung ihren Teil der Herausforderungen bewältigen zu können. Wir plädieren dafür, dass Ausrüstung mit Großgerät als Baustein im Gesamtkontext zu sehen ist.
7 Baseline Requirements der NATO
Die 7 Baseline Requirements werden durch die NATO wie folgt definiert (NATO, 2021a):
Kontinuität der Regierungsführung und wichtiger staatlicher Dienste: z. B. die Fähigkeit, in einer Krise Entscheidungen zu treffen, sie zu kommunizieren und durchzusetzen
Stabile Energieversorgung: Backup-Pläne und Stromnetze, intern und grenzüberschreitend
Umgang mit unkontrollierten Personenbewegungen und Entkopplung dieser Bewegungen von den militärischen Einsätzen der NATO
Widerstandsfähige Nahrungsmittel- und Wasservorräte: Gewährleistung der Sicherheit vor Unterbrechungen oder Sabotage und der Verteilung im Bedarfsfall
Bewältigung von Massenanfall von Verletzten und Betreuungsbedürftigen: Sicherstellung der Versorgung durch die zivilen Gesundheitssysteme und ausreichende medizinische Bevorratung
Widerstandsfähige zivile Kommunikationssysteme: Sicherstellung, dass Telekommunikations- und Cybernetze auch unter Krisenbedingungen funktionieren und über ausreichende Reservekapazitäten verfügen
Widerstandsfähige Verkehrssysteme: Es muss sichergestellt werden, dass sich die Streitkräfte schnell im Bündnisgebiet bewegen können und dass sich zivile Dienste auch in einer Krise auf die Verkehrsnetze verlassen können
Das bedeutet, dass die Streitkräfte sich selbst kritisch betrachten, schnellstmöglich für Vollausrüstung sorgen und gleichzeitig auch die eigenen Strukturen auf Resilienz hin überprüfen. Es gilt innere Resilienz zu schaffen, um der gesellschaftliche Aufgabe gerecht werden zu können. Dabei bekommt eine zivil-militärische Zusammenarbeit abseits von Regelprozessen des sogenannten “Dachlatten-CIMIC” (wo im Grunde durch das tatsächliche Liefern und/oder Verbauen von z.B. Dachlatten Zivil-Militärisch zusammen gearbeitet wurde) eine besondere Bedeutung zu. Es reicht nicht mehr, in den üblichen Rahmen zu denken. Outside-the-box Denken muss zu outside-the-wire Agieren werden! Und das auch und gerade in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext.
Im 1. Deutsch-Niederländischen Korps kann diese Bestrebung hin zu einem breiteren auf Resilienz ausgerichteten Sicherheitsverständnis dieser Tage live verfolgt werden. In der Auftaktveranstaltung der Trainings- und Übungsreihe Common Effort 2022 fanden sich Anfang dieser Woche Akteure und Stakeholder rund um den Komplex der Resilienz in Münster in Präsenz und abgestützt auf digitale Medien zusammen, um neben einem gemeinsamen Verständnis von Resilienz auch die möglichen gegenseitigen Anforderungen und Unterstützungspotentiale zu finden.
Auf dieses Projekt unter dem Namen “Common Effort” wollen wir in den nächsten Wochen noch einmal genauer eingehen, um auch die Komplexität dieses Vorhabens richtig einordnen zu können.
Aus unserer Sicht sind demnach folgende Punkte wichtig:
Ausrichtung der gesamtstaatlichen Bestrebungen auf Resilienz als Ankerpunkt gesamtgesellschaftlichen Handelns.
Vollausrüstung der Bundeswehr schnellstmöglich, sowie kontinuierliche Anpassung des Aufgabenspektrums und des Ausrüstungsbedarfs im Kontext der gesamtstaatlichen Resilienz
Betrachtung von Resilienz ohne Denkverbote hinsichtlich Risiken/Gefahren und Handlungsoptionen
Eine gemeinsame und vor allem selbst bestimmte Sicherheitspolitik in Europa, um den eigenen Interessen wieder Vorschub zu leisten.