Seit Monaten sammeln die Russen um die Ukraine herum substantielle militärische Kräfte. Erst in der Nacht, um den eigenen Aufmarsch weitgehend zu verschleiern. Dann immer öffentlicher. Auch zwangsweise da private Weltraum-Unternehmen wie Maxar Technologies oder Privatpersonen über Soziale Medien die Augen überall haben. Heute stehen wir vor einer der größten Herausforderungen in der Sicherheitspolitik seit der Kuba-Krise. Eine gute Erkenntnis ist, dass sich ein Aufmarsch dieses Ausmaßes heute schlicht nicht mehr verstecken lässt.
Foto © by Maxar Technologies
Dabei gehört auch zur Wahrheit, dass Wladimir Putin nicht überraschend handelt. Sein Denken in Einflusssphären, seine Gebietsansprüche und seine Roten Linien kommuniziert er seit seiner Amtsübernahme von Boris Jelzin im Jahr 1999 öffentlich. Sein Ansinnen war immer eine Rückkehr zu alter, sowjetischer Größe, und sein Trauma war der von Jelzin vollzogene Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991. Diesen Zerfall galt und gilt es, rückgängig zu machen. Die baltischen Strände der Ostsee und Kaliningrad sieht er als Russlands Vorfeld. Putin hat daraus nie ein Geheimnis gemacht. Nur hat ihm auf westlicher Seite kaum jemand zugehört und geglaubt.
Als die baltischen Länder dann 2004 in die NATO aufgenommen wurden, vernahm man zunächst auch aus Russland die Meinung, dass es jedem souveränen Staat freisteht, in ein Bündnis seiner Wahl einzutreten. Anfang der 2000er Jahre war auch ein NATO-Beitritt Russlands im Gespräch, und der NATO-Russland Rat war nicht zuletzt eine Einrichtung, die dieses Vorhaben beleuchten und Wege der Annäherung finden sollte. Jetzt aber sehen wir, dass Russland mit klarer Stellung gegen den Westen den größten Aufmarsch seit 1991 (inklusive aller für ein aktives und längeres Gefecht notwendigen Truppenteile/Support-Elements) vollzogen hat. Dazu sehen wir eine Rhetorik des Säbelrasselns und im hybriden Spektrum eine nie dagewesene Aktivität. Bis zu diesem Wochenende haben fast alle westlichen Länder ihre Staatsbürger öffentlich aufgefordert, die Ukraine zu verlassen. Russland räumt die eigene Botschaft in Kiev, und auch die USA evakuiert ihre Botschaft.
Ressourcen-Karte der Ukraine © by Yuridia on cleanpng.com
Aus meiner Sicht ist das Säbelrasseln bald vorbei, denn Putin ist innenpolitisch unter Zugzwang. Er muss handeln und liefern - seine Eliten werden ihm einen kostenreichen Aufmarsch dieser Größe und ein Verärgern des Westens nicht durchgehen lassen, wenn nicht wenigstens die Ressourcen der Ukraine danach ausgebeutet werden können. Seine Bevölkerung steht noch hinter ihm, und eine kurze, aber heftige Intervention zur Einnahme der Ukraine wird durch die Bevölkerung möglicherweise mitgetragen werden, denn sie ist deutlich robuster als die vieler westlicher Länder. Zudem ist die russische Wirtschaft nicht zuletzt durch Wirtschafts- und Energieabkommen mit China sowie eine mit 600 Mrd. US-Doller gefüllte Kriegskasse für eine Weile durchhaltefähig. Ein Angriff und eine mindestens partielle Einnahme der Ukraine als Most Likely Course of Action (MLCA) ist aus meiner Sicht demnach logisch und aus Sicht Russlands auch zweckmäßig. Das Center for Strategic and International Studies (CSIS) hat dieses zuletzt eingehend hier analysiert. Die daraus resultierenden Sanktionen scheinen den Russen vergleichsweise erträglich.
Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und zumindest einmal auf den Most Dangerous Course of Action (MDCA) werfen. Was würde Putin davon abhalten, mit einigen Kräften auch den alten Einfluss wieder zu gewinnen, das Baltikum einzunehmen und direkt danach Frieden anzubieten? Was würde die NATO tun? Mit drei Divisionen das Baltikum zurückerobern? Oder würde man versuchen, über lange Verhandlungen die baltischen Staaten auf dem Verhandlungswege wieder frei zu bekommen? Was hält Putin davon ab, sich die Ukraine und das Baltikum einzuverleiben, danach alles inklusive Belarus zusammenzuschließen und Frieden anzubieten? Nur eine demonstrative Entschlossenheit des Westens, sich diesen Bestrebungen entgegenzustellen.
Was uns bleibt, ist abzuwarten und vorbereitet zu sein. Dabei stellen sich durchaus die folgenden Fragen:
Ist Deutschland darauf willens und auch in der Lage, Verbündeten militärisch beizustehen?
Ist unsere Rolle als viertreichste Ökonomie der Welt im Rahmen der diplomatischen Lösung ausreichend?
Sind wir von Strukturen, Finanzierung und Ausrüstung tatsächlich krisenfest in Form von Kaltstartfähigkeit und Kriegstauglichkeit?
Sind unsere Streitkräfte wirklich ausreichend ausgestattet, um einer Herausforderung wie einer militärischen Auseinandersetzung mit Russland entgegen zu treten?
Welches Signal setzen dazu die politischen Tendenzen z.B. zu einer Verringerung des Einzelplans 14 über die nächsten 4 Jahre?
Wir als Firma leisten unseren Beitrag, in dem wir die deutschen Anteile der Bundeswehr für die Mission eFP (enhanced Forward Presence) LITAUEN auf ihre sechsmonatigen Zeiten in Litauen vorbereiten. Bei unseren Ausbildungen achten wir darauf, tatsachenbasiertes Wissen und unterschiedliche Sichtweisen des Westens und auch der Russen auf die Lage im Baltikum darzustellen. Dazu gehört auch, eine einseitige, massive Aggression der Russen als solche zu benennen, sie historisch einzuordnen und daraus auch die Erwartungen der Baltischen Staaten an Deutschland und den Westen zu erläutern. Dies sorgt stets für ebenso lebhafte wie kontroverse Diskussionen, die aber wichtig sind, um die Sinnhaftigkeit des eFP-Einsatzes als Teil unserer Landes- und Bündnisverteidigung zu verstehen.
Wir werden, so befürchte ich, in den kommenden Wochen Beobachter einschneidender Ereignisse sein. Ob wir es wollen oder nicht.
Was jetzt aus unserer Sicht passieren sollte:
Wir müssen uns vor allem um eine europäische Sicherheitsarchitektur Gedanken machen, die unabhängig von den USA und Russland funktioniert.
Eine Vollausstattung der Bundeswehr ist bereits in der Vergangenheit wichtig, richtig und notwendig gewesen und wird es nun noch viel mehr!
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