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  • AutorenbildJan Hesselbarth

Aufrüstung, Flugverbotszonen und Normandie-Momente

Aktualisiert: 9. Aug. 2023

Der Krieg in der Ukraine ist gut zwei Wochen alt. Zwei Wochen voller völkerrechtswidrigem, aggressivem und vor allem vollkommen ungerechtfertigtem Morden. Zwei Wochen lang sterben bereits Soldaten. Zwei Wochen lang leidet die Zivilbevölkerung. Unvorstellbares Leid wurde durch Putin und seine Schergen direkt vor unsere Tür gespült. Die Ukraine kämpft für ihre, und auch für unsere Freiheit. Und was passiert im Westen? Ich fasse die groben Linien einmal aus meiner Sicht zusammen.

Bild von Samuel Jeronimo auf unspash


Mit seiner sicherheitspolitischen Kehrtwende hat Olaf Scholz die deutsche Sicherheitsarchitektur auf den Kopf gestellt. Deutschland kann, wenn es nur will. Und bleibt nicht bei lächerlichen 5.000 Helmen stehen. Am 27.02.2022 hat die Bundesregierung mit dem Bild des Zauderns gebrochen. 100 Milliarden Euro soll es für die Bundeswehr geben. Und diese sind mehr als notwendig. Und schon rufen die ersten bereits: "Aufrüstung!" "Gewaltspirale!" "Wo ist das Geld für die Bildung?". Aus Sicht derjenigen sicher nachvollziehbar. Aber: Einspruch - Euer Ehren! Fangen wir mal vorne an.


Warum auch 100 Mrd. Euro keine Aufrüstung sind

Die Bundeswehr ist chronisch unterfinanziert. Die Lust an der Friedensdividende wirkt auch hier noch nach. In den letzten Jahren war nichts unpopulärer, als sich für ein großes Verteidigungsbudget stark zu machen. Aber: Weder konnte die Bundeswehr aus dem bisherigen Haushalt die Vollausstattung kurzfristig bezahlen (also z.B. alle Leopard 2 A6M kaufen/modernisieren lassen, die man in der Struktur vorgesehen hatte) - noch konnte man mit dem verfügbaren Geld einen hinreichenden Teil der bereits im Einsatz befindlichen Fahrzeuge langfristig warten und betriebsbereit halten. Von bisher logistisch nicht integrierten und funktionsfähigen Neuanschaffungen wie dem Waffensystem Puma ganz zu schweigen. Dazu kommt ein eklatanter Mangel an Munition aus finanziellen Gründen. Man spricht hinter vorgehaltener Hand recht deutlich von Kosten in Höhe von rund 15 Mrd. €, um Munition führ mehreren Tage und Wochen überhaupt erst einmal wieder zu beschaffen.


All diese Investitionen allein aus dem Einzelplan 14 des Verteidigungshaushalts über Jahre hinweg stemmen zu wollen, ist eine Utopie. Die Bundeswehr braucht diese Finanzspritze von 100 Milliarden daher dringend, um das Material, welches in der letzten Strukturreform vorgesehen war, überhaupt erst einmal schnell und substanziell zu beschaffen und auf Stand zu bringen. Wir sprechen also nicht über AUFrüstung, sondern über AUSrüstung im Sinne von Vollausstattung. Wir sprechen also darüber, dass Putin uns im Grunde mit "heruntergelassener Hose" erwischt hat. Wie der Inspekteur des Heeres es so treffend beschrieb: wir sind blank. Diesen Investitions- und Wartungsstau überhaupt erst einmal aufzulösen - das ist nun das Gebot der Stunde. Das ist der Preis der Freiheit, für unsere Sicherheit. Eine Forderung nach Geld für Bildung und Gesundheit ist ähnlich wichtig und berechtigt. Die Schuldenbremse hat in diesen Bereichen allerdings weiterhin Gültigkeit. Die 100 Milliarden werden als neue Schulden außerhalb der Schuldenbremse aufgenommen. Und das ist auch richtig so. Diese Diskussion muss die Politik nun führen. Putin zwingt uns dazu, jetzt umfänglich und sofort im Sicherheitspolitischen Bereich zu handeln.


Flugverbotszone Ukraine = Weltkrieg

Nun hat nicht nur der Ukrainische Präsident Selenskyj, sondern auch viele Im Westen öffentlich und lautstark nach einer Flugverbotszone über der Ukraine gerufen. Das ist nachvollziehbar. Sehr sogar. Die Ukraine hätte durchaus eine bessere Chance, wenn man der russischen Armee den Vorteil der Luftunterstützung nehmen würde. Aber, auch hier: Einspruch, Euer Ehren! Denn: Eine Flugverbotszone muss auch durchgesetzt werden. Es reicht nicht aus, nur eine solche Zone zu deklarieren. Das Durchsetzen funktioniert im Übrigen mit militärischen Mitteln wie Jets und Raketen - nicht durch Worte an sich.


In der Praxis hieße das, dass z.B. ein Land unautorisierte Luftraumnutzer abschießt. Wäre die Nation, die diese Flugverbotszone nun durchsetzt, ein Mitglied der NATO, dann würde die NATO automatisch im Krieg sein. Das kann bisher niemand wollen. Nun fragt man sich, ob nicht eine andere Nation außerhalb der NATO diese Flugverbotszone durchsetzen könnte. Durchaus möglich. Aber wer könnte denn einen Luftraum wie den der Ukraine sichern, halten und ein Flugverbot durchsetzen? Welches Land gibt es denn außerhalb der NATO (und im übrigen auch der EU), das hierzu militärisch überhaupt in der Lage wäre? Mir fiele nur die Schweiz ein, und die ist schlicht neutral. Also auch das keine gute Idee, wenn man nicht als Bündnis eingreifen will.


Wie lange brauchen wir für den Normandie-Moment?

Als Adolf Hitler den Europäischen Kontinent und später die halbe Welt ins Verderben stürzte, entschieden die großen Mächte an einem bestimmten Punkt: Es reicht. Diesen Punkt nenne ich den Normandie-Moment. Das Eingreifen in einer gemeinsamen Anstrengung, um Hitler-Deutschland aufzuhalten war der Beginn vom Ende der Nazi-Zeit. Damals gab es noch keine hochgerüsteten Atomwaffen-Arsenale. Damals war die Welt noch sehr konventionell. Man besaß riesige Bestände an Chemiewaffen - aber auch die setzte man, gottseidank, nicht in dem Maße ein, wie man es hätte können.


Heute sieht die Welt anders aus. Wir stehen mit Russland einer Atommacht gegenüber. Ein Konflikt zwischen Russland und der NATO (oder EU) würde automatisch eine Auseinandersetzung von Atommächten sein. Sicher, wir wissen alle, dass ein Atomkrieg die Welt entzünden und auch abbrennen würde. Niemand kann wirklich wollen, dass unser Planet zur Wüste wird. Dennoch besteht die Möglichkeit, und es muss alles getan werden, genau dies auf jeden Fall zu verhindern.


Gleichzeitig sehen wir uns nun aus meiner Sicht einem Normandie-Moment gegenüber. Das durch unterschiedliche Wissenschaftler und Politiker betriebene Appeasement ist aus meiner Sicht gescheitert. Nach all den militärischen Interventionen Russlands (Tschetschenien, Moldawien, Georgien, Syrien, Lybien, Krim und nun Ukraine) sollte jedem klar geworden sein, dass Putin mit den Mitteln von München 1938 nicht beizukommen ist.


Aber wie hält man einen Autokraten auf, der freiheitliche Tendenzen wegbombt? Wie zeigt man einem Verbrecher wie Putin, dass es jetzt reicht und das er zu weit gegangen ist - und das ohne einen Welt- oder Atomkrieg auszulösen? Reicht es, Sanktionen zu verhängen und zu hoffen, dass seine Eliten das schon regeln? Reicht es, darauf zu hoffen, dass die Bevölkerung in Russland für ein Umdenken sorgt? Ist es sinnvoll, die Ukraine zu Kapitulation zu bringen und hinzunehmen, dass Putin seine Position der Stärke ausnutzt um seine Pläne umzusetzen? Was kommt in 10 Jahren - wenn er die Ukraine unterdrückt und eingenommen hat und seine Armee wieder aufgebaut ist? Wie reagiert die NATO / EU, wenn er sich doch gegen das Baltikum wendet?


Ich habe darauf keine Antworten. Ich weiß jedoch, dass es heute umso wichtiger geworden ist, für Freiheit und Demokratie zu kämpfen. Ich weiß, dass die Ukraine diesen Kampf gerade für uns kämpft. Reicht uns das? Wird es reichen?


Was jetzt aus unserer Sicht passieren sollte:

  1. Die NATO und die EU muss nun aus unserer Sicht gemeinsam agieren. Es hilft nicht mehr, eigene Wege zu gehen. Besonders angesichts eines aggressiven Autokraten muss es ein gemeinsames Handeln geben.

  2. Die Ukraine muss mit allem unterstützt werden, was unsere Arsenale hergeben - unbürokratisch, schnell, direkt. Die Rüstungsexportkontrolle darf dabei nicht gänzlich verschwinden - sie darf aber auch nicht ver- oder behindern.

  3. Humanitär muss nun alles darauf eingerichtet werden, einer größeren Flüchtlingswelle zu helfen.

  4. Auch militärische Optionen müssen diskutiert werden - nur weil wir keinen Krieg wollen dürfen wir uns nicht davor scheuen, Gewalt einzusetzen um Unrecht aufzuhalten!

"slava ukraini" - oder auch: "Für die Freiheit!"

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