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  • AutorenbildJan Hesselbarth

Deutscher Parlamentarismus 0 - Krieg in Europa 1

Aktualisiert: 9. Aug. 2023

"Nimm dies, fieser Krieg. Wir schalten den Präsidenten des Landes, das gerade unter einem immer schlimmer werdenden, völkerrechtswidrigen Angriff leidet, per Video-Botschaft in unser Parlament und dann gehen wir zur Tagesordnung über." Manches in unserer Gesellschaft muss man vielleicht auch mit Sarkasmus betrachten. Ich persönlich finde es unfassbar, dass die wichtigste Volkswirtschaft in Europa nach dieser eindringlichen Rede von Volodomyr Zelenskiy einfach zur Tagesordnung übergeht. Voran gegangen war eine Ansage von Frau Göring-Eckhardt, dass die Video-Schalte sich aufgrund von technischen Problemen, die durch einen "Anschlag" entstanden waren, verzögert. Hier die ganze Video-Botschaft:


Genau das spiegelt das bereits von mir beschriebene Mindset wider. Krieg ist etwas schmuddeliges, etwas schlimmes. Die Masse der Menschen überschlägt sich dabei, den Krieg als völkerrechtswidrig, grausam, feige, aggressiv zu titulieren. Das trifft ganz besonders auch auf unsere Parlamentarier:innen zu. Die einen etwas früher, die anderen etwas später - bis auf die Partei "Alternative für Deutschland". Diese Ablehnung dieses Krieges spiegelt die Denkweise der Bevölkerung wider.


Dazu passt auch, dass der Bundestag nach der beeindruckenden Mahnung des Ukrainischen Präsidenten, die auch eine deutliche Kritik enthielt, der Bundestag etwas unbeholfen schlicht zur Tagesordnung überging. Da wird dann erstmal Jubilaren gratuliert und dann eine Abstimmung aufgerufen. Ein paar Parlamentarier:innen lehnen sich in ihren Redebeiträgen dagegen auf. Ein Antrag auf Änderung der Tagesordnung der CDU/CSU wird noch schnell durch die Koalitionsparteien abgeschmettert. Business as usual. Back to business.


Treffsicher hatte der ukrainische Präsident den Kern der Sache getroffen, indem er eine neue Mauer in den Köpfen in Europa sah. Ich gebe ihm da absolut Recht. Anstatt sich wirklich damit auseinander zu setzen und die dramatischen Bilder und Worte auch in tatsächliches Handeln umzusetzen, verfällt unsere politische Führung in Schockstarre. Schnell den Krieg als schlimm darstellen und dann über Corona abstimmen. Verstehen Sie mich nicht falsch - alles andere muss auch getan werden. Aber kann man das nicht einfach zwei Stunden später besprechen? Was ist mit dieser Zeitenwende passiert, die Olaf Scholz so drastisch formuliert postulierte?


Das kann ich ihnen sagen. Im Militär nennt man das, was im Bundestag passiert derzeit, "Angst frisst Seele!". Es passiert etwas ganz Furchtbares/Großes/Außergewöhnliches (potentiell dazu angelegt die eigene Karriere/Leben/Reputation zu zerstören) und die betroffenen Menschen stehen vor einer riesigen Herausforderung. Um sich selbst zu schützen wird nichts getan, nichts entschieden, nichts gesagt. Irgendwann wird irgendwer schon irgendwas entscheiden. Die wenigen, die dieser Falle bereits entkommen sind (z.B. durch nichts mehr zu verlieren, eine besondere Einstellung, Mut), werden und bleiben aktiv. Dann wird ausgebremst, blockiert, negiert und vor allem behindert. Irgendwann ist kommt die normative Kraft des Faktischen und zwingt zum Handeln. Dann sind alle irgendwie wieder dabei.


Als Beispiel kann man hervorragend die Diskussion um den Bundeshaushalt sehen. 100 Milliarden Euro plus 2% pro Jahr lagen am 27.02.2022 auf dem Tisch. Olaf Scholz dreht den Tanker - von Pazifismus und Naivität auf Sicherheit und Realität. In seiner Rede wird er sehr deutlich. Danach trifft dieser sehr gute Ansatz, der zwingend notwendig war und ist, auf die Mühlen der parlamentarischen Ebene. Die Einen erweitern den Sicherheitsbegriff und fordern einen Anteil für die Entwicklungspolitik aus dem Sondervermögen. Die Anderen wollen unbedingt auch in die Bildung investieren. Keine Frage - das ist alles wichtig und richtig. Aber hier geht es um Krieg in Europa und nicht um Entwicklungshilfe.


Dieser Realität müssen wir uns jetzt stellen. Und das heißt aus meiner Sicht auch, dass wir aufhören müssen, uns hinter Scheinargumenten zu verstecken. Wir müssen aufhören, Angst vor einem Karriereende zu haben. Wir müssen aufhören, am Thema vorbei zu reden. Wir müssen den Aggressor benennen: Vladimir PUTIN. Wir müssen anfangen realistische Politik zu betreiben: ALLE Energieimporte aus Russland einstellen. Wir müssen militärisch AUS-Rüsten (nicht AUF-Rüsten, was so viele immer meinen). Wir müssen der Realität endlich ins Gesicht sehen und notwendige Dinge entscheiden. Auf uns als freiheitlich-demokratische Gesellschaft warten noch ganz andere und schlimmere Entscheidungen als diese, wenn wir so weiter machen.


Das pazifistische Mindset, geprägt von der Lust an der Fridensdividende, steht einem gesunden Realimus dabei mitunter im Weg. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Krieg ist böse. Stimmt alles. Aber sich auf die Couch zurückzuziehen und nichts zu tun, hilft nicht weiter.


Wir als Gesellschaft und unsere Parlamentarier müssen lernen, mit diesem Krieg umzugehen. Wir müssen uns dem Thema stellen. Es reicht nicht mehr, ans Mikrofon zu treten und Business as usual zu machen. Wir müssen alle langsam verstehen, dass wir in einer gänzlich neuen Zeit leben! Zanken und streiten, wer "das Förmchen haben darf im großen Sandkasten Bundestag", ist vorbei. Wir müssen gemeinsam handeln und vielleicht auch schwierige Entscheidungen treffen.


Im Übrigen sind die anderen Video-Schalten nicht minder interessant. Zum Beispiel vor dem US-Congress:


Oder vor dem britischen Parlament:


Oder vor dem Europäischen Parlament:


Auf alle Reden folgte zumindest ein klares Statement der entsprechenden Regierung oder des Hauses. Nur im deutschen Bundestag sind es lediglich einzelne Parlamentarier, die dieses Thema zur Sprache bringen.


Was jetzt aus unserer Sicht passieren sollte:

  1. Die Politik darf sich nicht mehr wegducken. Wir müssen unsere Politiker in Verantwortung nehmen. Das heißt auch, konsequent einzufordern, dass sich gewisse Dinge ändern.

  2. Die Vergangenen 25 Jahre müssen in allen Parteien aufgearbeitet werden. Der Umgang mit Russland ist hierbei einer besonders kritischen Betrachtung zu unterziehen.

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