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  • AutorenbildJan Hesselbarth

Deutschland und der Krieg gegen die Ukraine: Kriegsziele?

Aktualisiert: 9. Aug. 2023

Nach dem Abklingen des ersten Schocks über den Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine stellten sich die allermeisten Regierungen und Gesellschaften des Westens demonstrativ auf die Seite der Ukraine. Weitreichende Unterstützung für den Abwehrkampf wurde allseits versprochen, auch als Akt der Verteidigung westlicher liberaler Werte. Die Regierungen sprachen sich - mal früher, mal später - eindeutig dafür aus, der Ukraine die Mittel zu geben, um siegreich aus diesem Kampf hervorzugehen. Auch in Deutschland postulierten die Führungspersonen beispielsweise der CDU und der Grünen das Ziel eines ukrainischen Sieges. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hingegen belässt es - auch auf wiederholte Nachfrage - bei der Formel, die Ukraine dürfe nicht verlieren.

Photo by Wesley on unsplash


Die allermeisten Akteure, die sich für einen Sieg der Ukraine aussprachen, legen sich jedoch nicht darauf fest, unter welchen Bedingungen dieses Ziel erreicht wäre. Auch Olaf Scholz entgeht dem mit seiner Position. Selbst die ukrainische Führung hat relativ lange gebraucht, um die Bedingungen für einen anzustrebenden siegreichen Abschluss des Krieges zu formulieren. Lange blieb es bei der Formulierung, die Invasoren seien zu vertreiben, und erst danach eine Verhandlungslösung zu suchen.


Anfang Juni hat sich Präsident Selenskyj auf Eckpunkte eines Sieges über Russland festgelegt. Neben der Befreiung aller von Russland besetzten Territorien und der Wiederherstellung der territorialen Integrität in den Grenzen von vor 2014 nannte er auch die Verurteilung von Kriegsverbrechern - inklusive der aktuellen russischen Führung. Während der Anspruch der territorialen Integrität theoretisch mit den richtigen militärischen Mitteln umsetzbar sein könnte, lässt die Bestrebung einer juristischen Aufarbeitung und möglichen Verurteilung von russischen Kriegsverbrechern einigen Raum für Gedankenspiele. Kriegsgefangene Soldaten könnten selbst zügig der eigenen oder internationaler Gerichtsbarkeit überstellt werden. Aber unter welchen Bedingungen ließe sich der russischen politischen und militärischen Führung der Prozess machen?


Dafür gäbe es zwei grundlegende Szenarien; zum Einen könnte man einen militärischen Sieg bis zur Einnahme Moskaus - und möglicher weiterer russischer Zentren - und die Ergreifung der Verantwortlichen anstreben. Diese Variante erscheint allerdings wenig realistisch, da eine Fortsetzung der militärischen Operationen über die eigene Grenze hinaus auf dem Boden der Russischen Föderation die Ukraine - und mögliche Verbündete - vor extreme Herausforderungen stellen würde. Nicht nur aus historischer Sicht wäre das wenig erfolgversprechend, sondern die Ukraine büßte auch - angesichts weiterer Opfer und immenser zusätzlicher Kosten - den (moralischen) Vorteil des Verteidigers eigenen Territoriums ein.


Realistischer, wenn auch optisch für viele Menschen ein geringerer Erfolg, wäre die Verurteilung in Abwesenheit vor einem internationalen Gerichtshof, mit dessen Rechtsspruch sich eine “Verfolgung” durch Interpol erwirken ließen. Dies würde den Fahndungsdruck erhöhen und den Bewegungsradius der Verurteilten (und ihres Kapitals) auf der Welt erheblich einschränken. Ferner wären die Unterstützer und Verbündete der Ukraine weiterhin an ihrer Seite und in der Pflicht, die Verurteilen zu fassen.


Wie kann oder sollte sich also Deutschland in der Frage nach den Kriegszielen positionieren? Dies sollte zweigeteilt betrachtet werden. Erstens muss geklärt werden, ob und welchen formulierten Kriegszielen der aktiven Kriegsparteien man unterstützen will. Das kann die Regierung intern oder als Teil einer gesellschaftlichen Debatte herausarbeiten. Zum anderen muss sich die deutsche Gesellschaft und die Regierung darüber klar werden, welche eigenen Ziele im Kontext dieses Krieges erreicht werden sollen, und welche Mittel man bereit ist, dafür zu mobilisieren. Die Formulierung eigener Positionen und Ziele hilft, mit den Erwartungshaltungen von Verbündeten, Partnern und Kontrahenten umzugehen.


Neben dem direkten Kriegsgeschehen und dem Umgang mit den dafür Verantwortlichen sollten auch die Folgen des Krieges für andere Regionen hinsichtlich Ernährung, Lieferketten und anderer betroffener Themen berücksichtigt werden. Die Energiesicherheit und die fatale, selbstgewählte Abhängigkeit von Russland ist jeden Tag präsent. Ein möglicher Umgang mit Russland nach Ende des Krieges unter Berücksichtigung der möglichen Ausgänge, sowie unter der aktuellen oder auch einer neuen politischen Führung, gehören auch dazu.


Daher ist aus unserer Sicht folgendes zu erörtern:

  • Deutschland bzw. die aktuelle Regierung muss sich schnell darüber klar werden, welche Ziele und strategische Ansätze im Kontext dieses Krieges und im erweiterten Systemkonflikt verfolgt werden. Dabei sollte möglichst ein Bezug zu den Kriegszielen der Ukraine hergestellt werden. Schon jetzt ist klar, dass in der Ukraine auch unsere Freiheit verteidigt wird.

  • Die eigenen Positionen sind möglichst mit Partnern und Verbündeten in der EU und der NATO abzustimmen, um eine gemeinsame Sprech- und Handlungslinie zu finden.

  • Die Ukraine muss entsprechend der eigenen und gemeinsamen Zielsetzung mit aller Konsequenz schnell und kompromisslos unterstützt werden - und gegebenenfalls selbst mit eigenen Mitteln agiert werden. Dabei sollten eigene Ziele und Rote Linien zur Bedingung der Unterstützung klar kommuniziert werden.

  • Es sollte klar festgelegt werden, unter welchen Bedingungen militärisches und diplomatisches Engagemente ineinander übergehen bzw. einander ablösen.

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