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  • AutorenbildJan Hesselbarth

Die Sicherheit und das liebe Geld

Aktualisiert: 9. Aug. 2023

Kaum 3 Wochen ist es her, dass Bundeskanzler Olaf Scholz unserem Land eine 180-Grad-Wende in punkto Sicherheitspolitik verordnete. Seit knapp 3 Wochen steht die Sicherheitsarchitektur Europas Kopf. In seiner historischen Rede vor dem Bundestag kündigte der Bundeskanzler ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro an. Darüber hinaus solle ab sofort der Verteidigungshaushalt jedes Jahr über 2% des BIP liegen. Schauen wir uns dazu doch einmal die Details an.


Der Einzelplan 14 des Bundeshaushalts fürs die Bundeswehr war die letzten Jahrzehnte immer ein Streitpunkt. Diskussionen drehten sich stets um "Aufrüstung" und um "Militarisierung". Dabei ist es im Grunde ganz einfach. Sicherheit kostet Geld. Und was Sicherheit bewirkt, sieht man erst dann, wenn es Probleme gibt. Und man sieht meistens nicht, was Sicherheit alles verhindert. Exakt so ist es mit dem Verteidigungshaushalt und der Sicherheitspolitik. Plakativ gesagt: Nach der Bundeswehr wird erst dann gerufen, wenn Krieg ist. Vorher ist sie lästig, ein Randprodukt der Gesellschaft, ein notwendiges Übel, ein überkommenes Relikt alter, schlechterer Zeiten. Sie ist eine Organisation, der man mit freundlichem Desinteresse begegnen kann und ihr allenfalls dankt für Fluthilfe und Corona-Amtshilfe. So zumindest schien es den meisten Soldat:innen eine lange Zeit. Naturkatastrophen und Pandemien haben dem Ansehen wieder ein wenig auf die Beine geholfen. Aber substanziell war das nicht.

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Entsprechend unliebsam waren Ausgaben für dieses scheinbare überteure Monstrum, welches man eigentlich nicht haben wollte. Die auf dem NATO-Gipfel 2014 gemachte Zusage, Deutschland würde 2% seines Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung ausgeben, hat man seitdem nicht erfüllt. Eine Vereinbarung, die in einem politisch-militärischen Bündnis wie der NATO, allerdings auch international, eine gewisse Relevanz artikuliert. In Deutschland war das schlicht nicht vertretbar. Sicherheit brauchte man nicht und genoss scheinbar die Friedensdividende. Man war von Freunden umgeben. Entsprechend bastelte man sich einen Haushalt und die entsprechenden Kräftekategorien zusammen. Ich will versuchen, das in Gesprächen mit Unbedarften anhand eines Fahrzeugpools zu erklären.


Als Beispiel: Die Konzeption der Bundeswehr sieht vor, 100 Fahrzeuge zu haben und zu nutzen. Das hat man nicht nur sicherheitspolitisch und militärisch vorgegeben und abgesegnet. Sondern auch den internationalen Partnern in den Bündnissen zugesagt. Nun will die Regierung allerdings nicht ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, um alles sofort zu beschaffen. Also kauft man einmalig 20 Fahrzeuge und dann in den Folgejahren jeweils 5 weitere, bis man auf der gesamten Anzahl von 100 Fahrzeugen angekommen ist. Da die entsprechenden Nutzer dieser Fahrzeuge allerdings alle existieren, werden diese Fahrzeuge auch genutzt (und abgenutzt) - dadurch braucht es ein gewisses Wartungsbudget. Nun verzögert sich durch Modernisierungen und komplizierte Prozesse die Beschaffung der Folgefahrzeuge. Resultat: Man hat zwar die Nutzer auf dem Hof stehen (die ausgebildet, in Übung gehalten und im Einsatz bestehen müssen) aber nicht genügend Fahrzeuge, um dies auch wirklich zu tun. Es werden sogenannte Materialpools für Großgerät geschaffen. Der Kampfpanzer Leopard 2 wird von einer Besatzung an die andere, von einem Bataillon zum anderen weitergereicht. Keine Besatzung hat mehr wirklich "ihr Fahrzeug". Internationale Verpflichtungen wie VJTF oder EUBG werden bevorzugt ausgestattet. Ein Bataillon ohne einen solchen Auftrag geht leer aus. Das war zumindest zu meiner aktiven Dienstzeit ein gängiges Problem.


Es geht aber weiter. Wenig Geld (und z.T. immer weniger anhand Inflation und Kaufkraftverlust sowie Teuerungsraten gemessen) heißt auch wenig Möglichkeiten. So muss das Ministerium z.B. festsetzen, dass es nur ein Budget für die Wartung von sagen wir 20 Fahrzeuge pro Jahr hat. Das soll natürlich auch aufwachsen bei entsprechendem Zulauf von neuen Fahrzeugen. Und schon haben wir einen zusätzlichen Wartungsstau. Denn die zivilen Wartungspartner haben Verträge unterzeichnet, in denen nur 70% Klarstand zugesichert wird. Die Schrauber in der Truppe - die man wohl hat und ausbildet - dürfen im Frieden nur sehr begrenzt schrauben. Im allerschlimmsten Falle bringt also ein defekter Blinker das Fahrzeug zum Stillstand, und es steht lange in der Instandsetzung. Dieser Wartungsstau ist nur mit Mitteln und mit Wollen zu lösen. Aber schon wieder stehen weniger Fahrzeuge zur Verfügung.


Diese Art von Mangelverwaltung ist zwar zugegebenermaßen stark vereinfacht und bestimmt auch übertrieben dargestellt - aber aus meiner Betrachtung ist das der Kern des Problems. Es ist eine Frage des Wollens, weniger des Könnens. Entweder die Politik (und damit die Gesellschaft) will handlungsfähige Streitkräfte und will der Bundeswehr damit genügend Mittel zur Verfügung stellen, um schnell auf ein hohes Maß an Ausrüstung bis hin zur Vollausstattung zu kommen (was im übrigen gefordert wird und notwendig ist) oder nicht. Entweder wird Geld bereit gestellt oder nicht.


Und nun haben wir Krieg in Europa, und drei Tage nach Kriegsbeginn verordnet ein sozialdemokratischer Kanzler der Bundesrepublik ein Umdenken. Ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro soll es jetzt richten. Dazu soll der Verteidigungshaushalt über 2% des BIP rutschen. Im Wortlaut: "Bessere Ausrüstung, modernes Einsatzgerät, mehr Personal – das kostet viel Geld. Wir werden dafür ein "Sondervermögen Bundeswehr" einrichten. Und ich bin Bundesfinanzminister Lindner sehr dankbar für seine Unterstützung dabei. Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten. Die Mittel werden wir für notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben nutzen. Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren."


Also los: 100 Milliarden Euro sofort ausgeben um den Wartungs- und Beschaffungsstau aufzulösen!?! Einspruch! Das muss, zum Wohle des ganzen, zunächst eingeschränkt werden. Zum Ersten sind unsere derzeitigen Beschaffungsstrukturen nicht darauf ausgelegt, so schnell so viel Geld einzusetzen - zumindest ist das langläufige Meinung. Zum Anderen müssen wir genau hinschauen. Denn aus 100 Milliarden werden schnell 60-65 Milliarden. In der Summe ist ein Umsatzsteueranteil von19 Prozent enthalten. Es stehen also nur 84 Milliarden Euro zur Verfügung. Inflation etc. mit eingerechnet auf eine Gesamtlaufzeit von 10 Jahren sind wir bei einer Kaufkraft von etwa 60 bis 65 Milliarden Euro - so analysierte der für die Ausrüstung zuständige Vizeadmiral Carsten Stawitzki.


Hinzu kommt ein Mechanismus, den man erst erkennt, wenn man konkrete Zahlen anschaut. Denn der Finanzplan der Bundesregierung sieht für den Einzelplan 14 wie folgt aus:

Bild von Matthias Gebauer auf Twitter: ogy.de/49p4


Wenn man das mit einer ca. 1%-igen Steigerung des BIP übereinander legt, dann haben wir erst einmal noch keine 2% des BIP als Verteidigungshaushaltes erreicht. Wir liegen dann bei ca. 1,4 - 1,6% je nach Prognose. Also keine substanzielle Veränderung. Legt man nun die Planung des Mittelabflusses der 100 Milliarden Sondervermögen darüber, so kommt man gut auf 2,1 - 2,3 Prozent.


Bild von Torben Schütz auf Twitter ogy.de/2rrw


Nun: das sieht schon ganz anders aus. Demnach wird das Sondervermögen als Mittelabfluss auf den Verteidigungshaushalt über die nächsten maximal 10 Jahre angerechnet. Ich bin kein Finanzgenie - ich hoffe nur, dass wir mit dieser Maßnahme den Beschaffungsstau aufheben - da ist z.B. die Anhebung der Obergrenze für Direktvergaben auf 5.000€ nur ein Punkt. 10.000 € wäre noch besser. Produkte zu beschaffen, die eingeführt und erprobt sind (siehe das Flugzeug F-35) statt Neuentwicklung erscheint mir ebenfalls gut. Vereinfachung des Ausschreibungswesens ist etwas gänzliches anderes. Daran haben sich schon andere Ministerinnen probiert. Vergabe ist ein dickes Brett - dafür gibt es nur sehr wenige Experten - und die sitzen nicht unbedingt bei den großen Unternehmensberatungen.


Ich sehe dennoch eine deutliche Verbesserung des Verteidungsetats und der Gesamtsituation. Der Krieg in der Ukraine scheint zu einem Umdenken zu führen. Langsam aber sicher.


Was jetzt aus unserer Sicht passieren sollte:

  1. Die Disziplinarvorgesetzten müssen wieder eine Budget-Freiheit bekommen. Vor allem im Bereich unter 10.000 Euro muss es schneller, einfacher, besser, direkter, lokaler gehen als es bisher der Fall war. Ein An2heben der Vergabegrenzen auf 10.000 Euro wäre somit zielführend. Dies beträfe vor allem auch eine Entlastung des Beschaffungsamtes, da gut 35% der Vergaben unter 10.000 € liegen.

  2. Der Haushaltsplan muss dringend nachgebessert werden! Wir müssen dringend auf echte 2% vom BIP für die Verteidigung kommen.

  3. Die 100 Mrd. € Sondervermögen müssen nun gezielt für eine Vollausrüstung eingesetzt werden.

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